Partnerschaftstour 2004 - 6. Reisebericht (Martin)
In der wilden Ukraine
Nach einer erlebniss- und terminreichen Woche in unserer russischen
Partnerstadt Schachty, dem Wendepunkt unserer Radtour, begann unser
Heimweg. Bis zur 40 km entfernten ukrainischen Grenze wurden wir noch
von unseren russischen Freunden begleitet, die uns halfen, die
Grenzformalitäten zu erledigen.
Am Nachmittag hiess es dann wieder: Freiheit!
Fast 2000 km ukrainische Weite lagen vor uns. Auf schnurgerader
Strasse, die uns kilometerweit blicken liess, radelten wir nach Westen.
Die Grenzregion ist ein grosses Steinkohlerevier und überall sahen wir
Fördertürme und Halden, die Ortsnamen Anthracit oder Schachty weisen
auf den Abbau des schwarzen Goldes hin, dessen Existenz auch hier nicht
mehr gesichert ist.
Zwischen den wenigen Städten radelten wir durch welliges Ackerland oder
weite Graslandschaften und pausierten in urigen kleinen Dörfern. Auf
den ersten Blick hatten wir den Eindruck: Hier ist die Welt noch in
Ordnung, Storchennester auf den Dächern, Wasser aus dem Ziehbrunnen und
die Bauern auf dem Felde, doch viele Menschen sind sehr arm, haben
keine Arbeit und leben ohne Strom und fliessendes Wasser.
Dorfmittelpunkt ist meist ein kleiner Laden, wo wir mehrfach mit
unseren bepackten Fahrrädern bestaunt wurden und während alte Männer
nach einigen Vodka darüber stritten, welcher Weg denn der beste für uns
sei, tranken wir einen kühlen Kwas (russischer Zuckerrübensaft).
Die Nächte verbrachten wir allesamt in unserem Zelt zwischen riesigen
Kornfeldern, wo uns ausser ein paar Mücken niemand störte.
Tagsüber hielt uns allerdings der Westwind ganz schön in Atem, der
neben viel Sonnenschein auch ein paar kurze aber kräftige Schauer mit
sich brachte. Auf freier Strecke breiteten wir dann schnell eine Plane
über unsere Räder und hockten und darunter, während Draussen für ein
paar Minuten der Regen prasselte. Bei einer dieser Regenpausen sahen
wir amüsiert dabei zu, wie ein sturzbetrunkener Soldat minutenlang
versuchte sein Motorrad wieder aufzurichten, nachdem er 60m vor uns
entfernt in den Strassengraben gerauscht war.
Nach knapp 1000 ukrainischen Radkilometern erreichten wir die blühende
Hauptstadt Kiev. Auf der vierspurigen Autobahn radelten wir ins
Zentrum. Dort trafen wir Mario, ein Bremer der seit 6 Jahren in Kiev
lebt. Er lud uns zu sich nach Hause ein und nachdem wir unsere Räder in
den neunten Stock eines Plattenbaus geschleppt hatten, wurden wir von
der gastfreundlichen Familie seiner Verlobten herzlich umsorgt. Sieben
Personen, zwei Katzen und unsere bepackten Räder in drei Zimmern mit
Bad. Die Menschen sind hier so herrlich unkompliziert!
Aus den geplanten zwei Nächten sind sechs geworden, da Kiev so viel zu
bieten hat. Neben vielen historisch interessanten Gebäuden, schönen
Plätzen, ruhigen Parks und großen Einkaufszentren sind es nur wenige
Minuten zum weißen Badestrand am Denpr, dem großen Fluss der mitten
durch Kiev fließt.
Während sich in den Vorstädten Wohnblock an Wohnblock reiht empfängt
die Innenstadt ein paar Metrostationen entfernt die wenigen
ausländischen Besucher mit prächtigen Sozialistenbauten, breiten
Straßen und gepflegten Plätzen.
Hinter den goldenen Kuppeln des fast tausendjährigen Höhlenklosters
überragt die "Mutter Heimat", eine riesige Stahlfigur, die selbst die
New Yorker Freiheitsstatur deutlich an Höhe übersteigt, die 3
Millionenmetropole. Kiev ist eine Reise wert und wir können gar nicht
verstehen, warum wir Deutschen so wenig über diese tolle Stadt wissen.
Heute werden wir mit unserer gastfreundlichen Familie an den Strand zum
Schaschlikgrillen fahren, bevor es morgen dann wieder mit den
Fahrrädern weitergeht, unserer polnischen Partnerstadt Olztyn
(Allenstein) entgegen.
Martin Miebach